Wir beobachten in der Praxis viele verschiedene Wege, wie Firmen bei der Auswahl eines ERP-Systems vorgehen. Dabei wird unweigerlich auch ein Stück der Unternehmenskultur sichtbar, wie beispielsweise: Werden die Mitarbeiter miteingebunden? Besteht die Fähigkeit, umfangreiche Projekte durchzuführen? Wie wird mit Komplexität umgegangen? Wie sieht es mit der Reife des Unternehmens in Sachen Veränderungsmanagement aus? Interessant ist auch, wie unterschiedlich die Haltung der Geschäftsführung zum ERP-Projekt sein kann. Die Bandbreite reicht von voller Unterstützung bis hin zu zähneknirschender Duldung, die alleinig dem Druck des mittleren Managements geschuldet ist.
Partizipatives Vorgehen bei der ERP-Auswahl
Viele Unternehmen setzen bei der ERP-Auswahl auf eine partizipative Vorgehensweise. Die Mitarbeiter aus den Fachabteilungen werden dabei auch schon in der Auswahlphase einbezogen. Dies ist unserer Einschätzung nach der richtige Ansatz. Ein von oben herab verordnetes ERP-Projekt wird auf größere Widerstände stoßen, als eines, bei dem die Mitarbeiter frühzeitig eingebunden werden. Worin die förderlichen Aspekte der Partizipation liegen, wird nachfolgend beleuchtet.
Funktionale Ziele vollständig erfassen
Das Ziel einer strukturierten ERP-Auswahl muss sein, dass die im Unternehmen vorhandenen funktionalen Anforderungen aus den betrieblichen Prozessen vollständig bekannt sind. Es ist wenig verwunderlich, dass Abteilungsleiter häufig nicht über die letzten Prozessdetails Bescheid wissen. Dies ist auch nicht unbedingt ihre Aufgabe. Umso wichtiger ist der Austausch mit den Mitarbeitern aus den Fachabteilungen. Als Lohn für die Mühe erhält man eine Fülle von Aspekten, die sich zum Gesamtbild der ERP-Anforderungen verdichten lassen.
Ab und zu erleben wir, dass Unternehmen das Auswahlverfahren ohne Einbeziehung der Mitarbeiter angehen. Sie scheuen den Zeitaufwand, fürchten kostenintensive Sonderwünsche oder sind der Meinung, dass der Funktionsumfang für ein ERP-System in ihrer Branche von sich aus klar ist. Dazu lässt sich entgegnen:
Zeitaufwand
Natürlich ist ein gewisser Zeitaufwand für den Austausch mit den Mitarbeitern notwendig. Tatsache ist aber auch, dass vergessene Anforderungen im späteren Einführungsprojekt Probleme aufwerfen. In der Analysephase sind Planänderungen einfach durchzuführen, weil das ERP erstmal nur auf Papier existiert. Wenn das ERP schon als Produkt vorliegt, gestaltet sich dies wesentlich schwerer.
Kostenintensive Sonderwünsche
Es empfiehlt sich im Sinne der Kommunikationskultur, die Analyse als Brainstorming anzusehen. Die Inputs der Mitarbeiter sollten wertschätzend und zunächst ohne Beurteilung aufgenommen werden. In späteren Phasen ist es zweckmäßig, die einzelnen Aspekte bezüglich Notwendigkeit, Umsetzbarkeit und Kosten auf den Prüfstand zu stellen. Selbstverständlich sollten keine „karierten Maiglöckchen“ umgesetzt werden, die aufwändige Individualanpassungen erfordern und hinterher im betrieblichen Alltag überhaupt nicht gelebt werden.
Funktionsumfang für Branche ist klar
Richtigerweise haben Branchen ihre Eigenheiten, für die es ERP-Branchenlösungen gibt. Trotzdem lohnt es sich genau hinzusehen, weil nicht jedes Unternehmen gleich ist und nicht in jedem ERP drin ist, was außen drauf steht.
Verbesserungspotenziale erkennen
Ein weiterer positiver Aspekt der Partizipation ist das Erkennen von Verbesserungspotenzialen. Hier lassen sich wahre Schätze heben! Leider sind diese Schätze oft verborgen und fallen nur auf, wenn jemand den Gesamtzusammenhang betrachtet. Wichtig ist ein Gesprächsklima, das auch introvertierte Mitarbeiter zu Statements anregt. Wenn es gelingt, die wachen Geister einzubinden, hat man sehr gute Chancen, etwas großes Gesamtes zu schaffen, das weit mehr ist, als die Summe der Einzelteile.
Partizipation als Basis für den Projekterfolg
Ein ERP-Projekt hat zwangsläufig Einfluss auf die wesentlichen Bereiche der Leistungserbringung im Unternehmen. In den allermeisten Fällen sind Veränderungen für die Mitarbeiter bzw. ihre Abteilungen damit verbunden. Erfreulicherweise haben Veränderungsmanagement und Organisationsentwicklung als wissenschaftliche Disziplinen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Sie geben den Unternehmen zahlreiche Empfehlungen, die sich sowohl in der Auswahlphase für das neue ERP-System als auch bei der anschließenden Einführung anwenden lassen:
Betroffene zu Beteiligten machen
Die Einbindung der Mitarbeiter bereits in der Auswahlphase hat den positiven Effekt, dass Betroffene früh zu Beteiligten gemacht werden. Sie lernen die Hintergründe des Projekts kennen und haben die Gelegenheit, sich einzubringen.
Dringlichkeit vermitteln
Schon in der Auswahlphase kann die Dringlichkeit des Vorhabens vermittelt werden. Im Veränderungsmanagement spielt die Dringlichkeit eine gewichtige Rolle. Sie ist die treibende Kraft, um weg vom bisher bekannten hin zum neuen, verbesserten Zustand zu gelangen.
Ängsten und Widerständen entgegenwirken
Veränderungen in Unternehmen wecken oft Ängste bei den Mitarbeitern. Typische Bedenken in Zusammenhang mit ERP-Projekten sind: Wie sieht mein Job künftig aus? Werde ich noch gebraucht? Bin ich den neuen Anforderungen gewachsen? Muss ich noch mehr arbeiten? Wird meine Arbeit völlig transparent? Verliere ich Einfluss? Beim Großteil der ERP-Projekte geht es nicht darum, die Mitarbeiter einzuschränken, sondern funktionale und organisatorische Verbesserungen sind die Hauptziele. Deshalb ist offene und fortwährende Kommunikation nötig, damit aus Ängsten nicht Widerstände werden.
Mitarbeiter in die Verantwortung nehmen
Die Beteiligung der Mitarbeiter bei der ERP-Auswahl hat einen weiteren Vorteil bei der späteren ERP-Einführung und zwar, wenn Widrigkeiten im Projekt auftauchen. Dann können die Mitarbeiter leichter in die Verantwortung genommen werden, da sie ihren Segen bei der Entscheidung für das System gegeben haben.